Dinge nicht mehr aufschieben und rechtzeitig vor dem Termin angehen: das wünschen sich viele chronische „Aufschieber“. Ziemlich neidisch schauen Prokrastinierer auf den Team-Kollegen und die Freundin, die scheinbar unbeeindruckt von digitalen Zerstreuungen und nutzlosen Grübeleien jede Aufgabe sofort erledigen.
Während der Prokrastinierer die Dinge der lateinischen Wortbedeutung zufolge „für morgen lässt“, wartet der Präkrastinierer gar nicht erst auf den nächsten Tag, sondern legt los. Doch auch diese Herangehensweise, die vor allem im Berufsalltag nicht selten ist, birgt Herausforderungen. Im Wunsch „alles erledigt zu haben“, verausgaben Betroffene sich oft. Und arbeiten mit Verve an Dingen, die weder wichtig noch dringend sind oder für die notwendige Informationen noch fehlen.
Planst Du noch oder arbeitest Du schon? Die „Eimer-Experimente“
Benannt wurde das Phänomen der Präkrastination durch den Psychologie-Professor David Rosenbaum, der 2014 mit Studenten der Pennsylvania State University die sogenannten „bucket experiments“ durchführte. Bei dieser Testreihe sollten die Studierenden einen von zwei mit Wasser befüllten Eimern über eine Wegstrecke ins Ziel tragen. Der einzige Unterschied zwischen den Eimern bestand darin, dass sie unterschiedlich weit von der Ziellinie entfernt standen.
Entgegen den Erwartungen der Versuchsleiter nahmen viele Teilnehmer den ersten Eimer auf und trugen ihn ins Ziel (statt es sich mit dem zweiten Eimer leichter zu machen, der näher am Endpunkt stand und kürzer getragen werden musste). Als die Teilnehmer zu ihrer Wahl befragt wurden, sagten sie, sie hätten die Aufgabe „so schnell wie möglich erledigen wollen“. Rosenbaum schlussfolgerte, dass der psychische Druck der unerledigten Aufgabe zu groß war, um bis zum weiter entfernten zweiten Eimer zu warten.
Lass‘ es uns jetzt tun!
Auf den ersten Blick scheinen die Präkrastinierer den Aufschiebern überlegen zu sein, vor allem im Berufsalltag. Ehrlich gesagt habe ich Kollegen und Vorgesetzte, die Dinge rasch abarbeiteten, gut erreichbar waren und E-Mails innerhalb einer Stunde beantworteten, fast ein bisschen bewundert.
Doch was von außen besonders motiviert aussieht, kann für Präkrastinierer mit viel Anstrengung oder Erschöpfung verbunden sein. Erst muss alles erledigt sein, bevor man Zeit für den Partner oder die Kinder, die Kino-Verabredung mit Freunden, die abendliche Laufrunde oder schlicht Schlaf hat. Doch warum?
- Mehr Zeit haben wollen. Viele Präkrastinierer beeilen sich paradoxerweise gerade deswegen, weil sie schneller (Frei-)Zeit haben wollen. Sie „arbeiten vor“, damit in einer späteren Phase „weniger los ist“. Doch dazu kommt es selten – je mehr Aufgaben erledigt, je mehr E-Mails beantwortet sind, desto mehr kommen hinzu.
- Den Arbeitsspeicher entlasten: Wer eine Aufgabe sofort erledigt, kann sie mental abhaken und muss sie nicht im Arbeitsgedächtnis speichern. Um die kognitive „Last“ zu vermindern, wird auch zusätzliche Anstrengung in Kauf genommen.
- Anerkennung: Wer im Beruf schneller, härter, „effizienter“ arbeitet als andere, erhofft sich, positiv herauszustechen. Aber auch, wer als zuverlässig gelten und andere nicht hängen lassen möchte, verschiebt Aufgaben nicht – auch wenn sie für einen selbst keine hohe Priorität haben.
- Innere Antreiber und Glaubenssätze: Auch wer Sätze wie „Ich muss schnell sein“, „Ich muss das machen“, „Frisch gewagt ist halb gewonnen“ oder „Der frühe Vogel fängt den Wurm“ verinnerlicht hat, wird von dem Wunsch getrieben sein, möglichst viel/alles schnell zu erledigen.
- Glücksgefühl und „instant gratification“: Wer eine To-Do-Liste führt, kennt es: das gute Gefühl, wenn man einen Punkt abhaken kann. Der kleine Ausstoß von Dopamin ist zwar kurzlebig, aber mächtig. (Viele kennen das Phänomen, dass man eine kleine, komplett unwichtige, aber erledigte Aufgabe im Nachhinein auf die eigene Aufgabenliste setzt, nur um sie sofort durchstreichen zu können.)
- Überlebensvorteil? Einige Forscher vermuten, dass das Präkrastinieren auch ein Erbe der Evolution sein könnte, das uns weiterhin prägt. Denn es kann überlebenswichtig gewesen sein, die niedrigsten Früchte vom Baum zu pflücken oder sofort etwas zu essen, solange kein Säbelzahntiger um die Ecke bog.
Was hilft gegen Präkrastination?
So unterschiedlich die Gründe für das sofortige Erledigen sind, so individuell müssen auch die Bewältigungsstrategien sein. Die „5 besten Tipps gegen die Präkrastination“ werden höchstwahrscheinlich ins Leere laufen. Ein Blick auf die eigene Haltung, die eigenen Werte und Motive ist im Coaching oft der erste Schritt, um dem Drang „alles sofort erledigen“ zu wollen, beizukommen. Erkenne ich, wann mir das präkrastinierende Verhalten schadet (weil ich beispielsweise mehr Energie aufwende, als ich habe), kann ich mein Verhalten sukzessive in eine andere Richtung steuern.
Und manchmal hilft es schon, sich diese Passage aus Oliver Burkemans empfehlenswerten Buch „4000 Wochen. Das Leben ist zu kurz für Zeitmanagement“ zu vergegenwärtigen: „Es wird nie der Tag kommen, an dem man endlich alles im Griff hat – an dem die E-Mail-Flut eingedämmt ist, die To-Do-Listen nicht mehr länger werden, man allen Verpflichtungen im Beruf und im Privatleben nachkommt, einem niemand mehr böse ist, weil man eine Frist verpasst oder einen Fehler gemacht hat – und man sich als voll optimierter Mensch endlich den Dingen zuwenden kann, um die es Leben eigentlich geht.“
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