Warum es uns so schwerfällt, Karriereentscheidungen zu treffen
Schon am Vorabend beginnt das Magengrummeln. Morgen geht es wieder zur Arbeit. Dorthin, wo Burn-Out, Bore-Out oder die nächste Umstrukturierung drohen. Dort, wo man sich in den letzten Wochen so wichtig gefühlt hat wie der umkippende Sack Reis in China. Oder wo einem, ganz im Gegenteil, DER Job der Träume angeboten wurde … nur in einem neuen Fachbereich oder Land. Was nun? Love it? Change it? Leave it?
‚Wie soll mein nächster Karriere-Schritt aussehen?‘, ist einer der Hauptanlässe, der Klient:innen ins Business Coaching führt. Denn statt mit Freude die Weichen für die Zukunft zu stellen, quälen wir uns. Doch woran liegt das? Und was kann helfen, um an der beruflichen Weggabelung nicht erschlagen grübelnd stehenzubleiben?
Das Bernsteinzimmer, die Bundeslade und die „optimale“ Entscheidung
Viele (berufliche) Optionen zu haben, ist Geschenk und Fluch zugleich. Theoretisch könnte alles immer noch ein bisschen besser sein, wenn ich mich richtig entscheide. Das ist anstrengend. Denn optimal ist eine Entscheidung, so viele Jahre die Meinung von Mathematikern und Ökonomen, wenn man alle Alternativen bedenkt – samt Eintrittswahrscheinlichkeit aller möglichen Konsequenzen.
Das sieht auch ChatGPT so, wenn man danach fragt, wie man eine gute Entscheidung trifft. Die künstliche Intelligenz rät: Informationen sammeln, Konsequenzen einer Entscheidung antizipieren, Rat suchen, Pro- und Kontra-Listen oder Entscheidungsbäume anlegen etc. Doch wer schon versucht hat, sich die beste Berufsentscheidung quasi „auszurechnen“, denkt schnell ans Bernsteinzimmer. Es gibt sie bestimmt, die optimale Lösung. Nur finden lässt sie sich sauschwer.
Vor einigen Jahren liebäugelte ich über Monate hinweg mit dem Gedanken, mich beruflich zu verändern. Aber war das sinnvoll? Aus dem Angestelltendasein als PR-Expertin heraus? Rein in die Selbständigkeit als Coach? Dann ging ich in Elternzeit und eine große Umstrukturierung im Unternehmen brachte mich in Entscheidungszwang.
And the winner is: Keine Entscheidung
Bleiben? Gehen? Und wenn ja, wohin? Häufig entscheiden wir, nichts zu ändern – selbst, wenn wir mit der aktuellen Situation unzufrieden sind. Moderne Entscheidungsforscher wie Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahneman wiesen nach, warum*:
- „Losses loom larger than gains“: Bei Veränderungsentscheidungen gewichten wir die möglichen Verluste etwa doppelt so stark wie die erwarteten, aber letztlich doch ungewissen, Gewinne. Würde ich als Selbständige flexibler arbeiten können? Und würde das die verlorengegangene Sicherheit des Angestelltendaseins komplett aufwiegen? Zur Hälfte?
- Zu viele Alternativen überwältigen: In einem Feldexperiment ließen Wissenschaftler Kunden sechs Marmeladensorten probieren. Anschließend kauften 30 von 100 Personen ein Glas. Konnten die Kunden jedoch aus 24 Marmeladensorten auswählen, kauften nur noch 3 (!) Personen ein Glas.
- „Sunk costs“: Bereits investierte Kosten bringen uns ebenfalls dazu, uns nicht zu entscheiden. Auch dies traf auf mich zu. Denn obwohl ich nicht mehr zufrieden war, fragte ich mich, ob es sinnvoll sei, das interne Netzwerk oder die vielen Überstunden „wegzuschmeißen“, die ich mühevoll erarbeitet hatte und die sich vielleicht noch auszahlen könnten.
Was kann helfen, um Fokus und Klarheit zu gewinnen?
Ein Patentrezept für berufliche Entscheidungen gibt es nicht. Doch vier Schritte können helfen:
- Welche Parameter sind die wichtigsten?
Kolleg:innen, die Freunde sind. Ein empathischer Chef oder eine hochkompetente Chefin. Gestaltungsspielraum, kurzer Arbeitsweg, neues Aufgabenfeld, Weiterentwicklung, mehr Gehalt, attraktive Benefits – am liebsten hätten wir alles. Doch für die meisten Menschen bietet der Beruf dann am meisten Zufriedenheit, wenn sie sich selbst als selbstwirksam und im Einklang mit ihren Werten erleben. Im Coaching bringt die Reflexion der eigenen Werte oft die Klarheit und das notwendige Zutrauen für eine Entscheidung. Denn die perfekte Rolle für einen Arzt, dessen Kernwerte Neugier, Empathie und Flexibilität sind, mag anders aussehen als die der Ärztin, für die Anerkennung, Zugehörigkeit und Leistung im Vordergrund stehen. - Ziele setzen und ins Handeln kommen
Entscheidungen werden einfacher, wenn man weiß, was man erreichen will. Manchmal wissen wir aber gar nicht so genau, was wir wollen. Plus: „You can’t find passion in your brain,“ sagt die amerikanische Unternehmerin Marie Forleo so schön. Oft sind wir bei unseren Entscheidungen dermaßen „im Kopf“, dass wir blockiert sind.
Aus dieser Misere half mir in der Elternzeit ein grober inhaltlicher und zeitlicher Rahmen, den ich mit meiner Coach im Herbst erarbeitete: „Im März starte ich damit, mich beruflich neu zu orientieren und ab dem Spätsommer gehe ich in die Umsetzung.“
Klingt total schwammig? Für mich war‘s die Rettung. Denn in der ersten Phase („bis März“) kreiste ich zwischen Schlafentzug und zwei kleinen Kindern nicht mehr darum, wie mein nächster beruflicher Schritt aussehen sollte (und blockte mit dieser „Sprachregelung“ nervige Nachfragen meines Umfelds ab). Erst danach sammelte ich Stück für Stück Informationen, sprach mit anderen Selbständigen und Coaches, recherchierte Ausbildungen. Die Entscheidung für die Selbständigkeit fiel dann nicht eines Tages nach Abwägung aller Optionen, sondern formte sich Schritt für Schritt mit jeder Information, die ich bekam. - Rede mit Deinen Scheinriesen
Im Karriere- oder Plan-B-Coaching fällt oft der Satz: „Ich würde gern das und das machen, aber …“. Aber dann kann ich meinen Lebensstandard nicht halten. Aber dann werde ich für verrückt gehalten. Aber mir fehlt diese Kompetenz oder Erfahrung. Bei genauem Hinsehen entpuppen sich diese „Abers“ wie bei Jim Knopf und dem Lokomotivführer oft (nicht immer!) als Scheinriesen.
Was mache ich in der Selbständigkeit, wenn mir der Austausch mit Kolleg:innen fehlt? Gezielt Kontakt zu anderen Selbständigen suchen. Was mache ich, wenn ich anfangs nicht genug Umsatz erziele? Rücklagen bilden, einen Gründungszuschuss beantragen. Was, wenn mich die Selbständigkeit nicht glücklich macht? Wieder Angestellte werden. Viele „Worst-Case-Szenarien“ waren entweder gar nicht so schwarz oder es fiel mir viel ein, was ich tun könnte, sollte es dazu kommen. - Die schlimmste Entscheidung: Keine Entscheidung
Egal, ob ich meine damalige berufliche Situation akzeptiert, geändert oder verlassen hätte: Nach mehrmonatigem Grübeln nahm ich mir als wichtigstes Ziel vor, mich überhaupt aktiv zu entscheiden und diese Entscheidung danach nicht zu sehr in Frage zu stellen. Bis jetzt, als selbständiger Coach, mit Erfolg 😊.
Karriereentscheidungen sind für niemand leicht. Aber sie sind immer eine Chance, sich und sein (Berufs-)Leben zu reflektieren. In diesem Sinne hat der ehemalige Baseballstar Yogi Berra Recht: „Wenn Du an eine Weggabelung kommst, nimm sie.“
*Quelle: Science Notes, Das Magazin für Wissen und Gesellschaft, 18. März 2018, Was tun? Wie wir uns entscheiden und warum nicht. – Science Notes
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