Gut durch die Herausforderungen der Corona-Pandemie navigieren? Resilienz! Trotz Kriegen, Krisen, Unsicherheit am Arbeitsplatz erfolgreich „performen“? Resilienz! Nicht zu dem Drittel der Bevölkerung gehören, welches laut Umfragen so gestresst ist, dass glaubt, den Alltag und die Arbeit nicht mehr bewältigen zu können? Resilienz! Neben Achtsamkeit erlebte Resilienz in den letzten Jahren den Aufstieg zur neuen „Superkraft“.
Auch im Coaching ist Resilienz ein wichtiges Thema. Sei es, weil Klient:innen anspruchsvolle berufliche Ziele erreichen und dabei leistungsfähig und gesund bleiben möchten. Oder weil sie sich erschöpft und weniger leistungsfähig fühlen, dünnhäutiger geworden sind. Sie wünschen sich ein „Zurückspringen“ in ihre ursprüngliche Form – genau das, was das lateinische Wort „resilire“ meint. Resilienz beschreibt den Prozess, mit dem Menschen adaptiv und flexibel auf Veränderungen reagieren.
Resilienz: The GOOD
Gibt es in Deinem Umfeld ein „Resilienz-Vorbild“? Eine Person, die darauf vertraut, dass sie ihr Schicksal selbst bestimmen kann und ein realistisches Bild von ihren Fähigkeiten hat? Jemand, der gut zwischen Anspannung und Entspannung wechselt und das Unabänderliche mit Gelassenheit akzeptiert?
War diese Person schon als Kind so? Vermutlich, denn Resilienz-Eigenschaften sind zu einem gewissen Teil angeboren. Resiliente Kinder sind keineswegs „zäh“, sondern vor allem in der Lage, bewusst zu handeln. Sie sind intelligent, optimistisch und bitten andere eher um Hilfe. Als Erwachsene erleben sie Höhen und Tiefen im Leben, reagieren auf Krisen aber eher mit einer Kursänderung, bevor es sie aus der Bahn schleudert.
Andererseits ist Resilienz nicht nur angeborene Eigenschaft – also „nature“. Resilienz ist auch eine Fähigkeit und ein Prozess, der Auslöser (Stress, Krisen, Traumata), Ressourcen (Selbstwertgefühl, positive Lebenseinstellung, unterstützende soziale Beziehungen etc.) und Konsequenzen (Veränderungen in den Einstellungen, im Verhalten) umfasst. Dieser Prozess ist nicht statisch, sondern dynamisch. Resilienz ist „nature“ und „nurture“, angeboren UND erlernbar.
Auch wenn man weder sich selbst noch die eigene Biografie völlig umkrempeln kann: Einen Mangel an Resilienz muss man nicht akzeptieren. Vor allem dann nicht, wenn er auf Glaubenssätze und Denkmuster zurückzuführen ist, mit denen wir uns selbst ein Bein stellen. Wir haben sie mehr in der Hand als wir denken. Sie lassen sich bewusst machen und verändern – wie eine schlechte Angewohnheit, die man sich auch wieder abgewöhnen kann.
Auch wenn sich dieses kleine Experiment anfänglich komisch anfühlen wird: Versuche einmal, Dir von aufkommenden Problemen für zwei Wochen nicht die Nerven rauben zu lassen. Blicke stattdessen wie ein Wissenschaftler oder Tüftler auf das Problem: „Ich akzeptiere, dass du da bist. Mal schauen, was mir einfällt, wie ich dich lösen kann, auch wenn bestimmt nicht alles so laufen wird, wie ich hoffe.“ Nicht hadern, sich nicht als Opfer begreifen („Warum passiert das ausgerechnet mir?“). Vermutlich merkst du nach einigen Tagen, dass du viel mehr im „Lösungs-Köcher“ hast als MacGyver (3 Schnürsenkel, zwei Büroklammern, eine Zündschnur…) und du durch den Fokus auf die Lösung von Problemen sogar Energie gewinnst.
Resilienz – The BAD
Ganz so leicht wie es das Gedankenexperiment suggeriert, lässt sich der Wunsch nach mehr Resilienz allerdings nicht umsetzen. Glaubenssätze und Denkmuster, die wir oft über Jahre hinweg „einüben“ können hartnäckig sein. Selbst dann, wenn wir sie erkennen, benötigt es viel bewusstes Training, um sie sukzessive abzubauen. Und es ist völlig legitim, sich auf diesem Weg durch ein Coaching Hilfe zu holen.
Wer seine Resilienz trainieren will, muss sich außerdem bewusst machen, dass sie eine komplexe Baustelle ist. Wäre sie ein Haus, stünde sie auf nicht weniger als vier Pfeilern:
- (Neuro-)Biologie: Allgemeiner Gesundheitszustand, neuro-chemische Balance, biologische Regenerationsfähigkeit
- Psychologie: Mental-emotionale Stärke, persönliche Präferenzen und Motivatoren, Lebensphase, Regenerationskompetenz
- Soziales Umfeld: Beziehungen, Familie/Freunde, Kollegen, Lebensphase des Netzwerks
- Physisches Umfeld: Umgebung/Wohnort, (Arbeits-)Bedingungen, Zeit- und Prozessmanagementkompetenz
Gerade die (neuro-)biologische Dimension ist wichtig: Ist die für An- und Entspannung wichtige Balance der Neurotransmitter gestört, ist der Mensch schon akut erschöpft oder (psychisch) erkrankt, braucht es unter Umständen auch eine medizinische und/oder psychotherapeutische Unterstützung. Wenn wichtige physische Ressourcen fehlen, ist es kaum möglich, das eigene Verhalten zu ändern, Achtsamkeitsübungen durchführen oder mehr Sport zu treiben.
So oder so: Resilienz ist eine oft lebenslange Aufgabe, bei der die vier Säulen gut gewartet und in Schuss gehalten werden müssen.
Resilienz – THE UGLY
Resilienz ist eine individuelle „Superkraft“. In der allgegenwärtigen Verwendung des Begriffs sehen Kritiker zu Recht jedoch einen Hinweis auf die Tendenz zur Individualisierung gesellschaftlicher Risiken. Gesundheit, geistig-körperliche Leistungsfähigkeit, Stressempfinden sind nicht nur vom Individuum abhängig: Es gibt Stressfaktoren, die erst durch Arbeitsbedingungen hervorgerufen oder verstärkt werden. Ebenso gibt es strukturelle Probleme, bei denen unter dem Feigenblättchen „Resilienz“ die Verantwortung für ein strukturelles Problem auf den Einzelnen abgeschoben wird.
Im Coaching geht es deswegen auch darum, die Lebens- und Arbeitsumstände kritisch in den Blick zu nehmen. Schließlich kann ebenso notwendig sein, auf den Tisch zu hauen und zu sagen ‚Mir reicht’s, hier muss sich etwas ändern‘ anstatt ‚Ja, ich werde resilienter und halte das aus‘. Sich der eigenen Motive und Bedürfnisse bewusst werden und diese zu äußern, öffnet den Raum, um Grenzen zu setzen. Und das Bewusstsein dafür, an welchen Stellen Klient:innen aktiv etwas dafür tun müssen, damit das, was sie sich wünschen, auch in Erfüllung geht.
0 Kommentare