Immer mehr leisten. Immer weniger Zeit und Ressourcen, um dem Berg an Aufgaben beizukommen. Diese Herausforderung kennen viele. In loser Folge schreibe ich über die Methoden, die mir selbst helfen, um wichtige Aufgaben rechtzeitig zu erledigen. Diesmal: mit Energie die eigene Produktivität steigern.
Das Gefühl, nicht mehr mit der To-do-Liste Schritt halten zu können, kennen viele. Auch meine Klient:innen im Coaching. Oft haben sie schon Zeitmanagement-Methoden ausprobiert wie Timeboxing oder Pomodoro, doch der durchschlagende Erfolg stellt sich nicht ein. Oft genug sind es die besonders Leistungsbereiten und Verantwortungsvollen, die müde vor mir sitzen. „Wäre ich produktiver, würde ich doch alles schaffen.“
Produktivität ist vielschichtig und bedeutet für Länder, Unternehmen, Teams und Einzelne unterschiedliches. Auf individueller Ebene besteht eines der häufigsten Missverständnisse über Produktivität darin, dass sie gleichgesetzt wird mit „mehr Arbeit schaffen“ – oder mit mehr Effizienz.
Stattdessen geht es bei Produktivität darum, aus begrenzter Zeit, Energie und Aufmerksamkeit das Beste herauszuholen und an dem zu arbeiten, was wichtig ist. Wenn wir Energie haben, uns wach und klar fühlen, gelingt uns das besser. Ein bewusster Umgang mit unserer Energie deswegen so wichtig wie der Umgang mit unserer Zeit.
Pay yourself first
„Pay yourself first“ kennen viele aus dem Bereich der persönlichen Finanzen. Wer sparen will, kann das Geld nehmen, das am Ende eines Monats übrig ist. Oft genug stellt man aber fest, dass am Ende des Monats gar nichts übrig bleibt. „Pay yourself first“ bedeutet, automatisch eine Summe zum Sparen abzubuchen, sobald wir unser Gehalt bekommen.
Lassen wir beruflichen Aufgaben, Meetings und Projekten ihren Lauf, bleibt selten Energie für uns übrig. Wir stecken sie gänzlich in die Aufgaben, die vor uns liegen – oft in die, die gar nicht wirklich wichtig sind. Um Erschöpfung zu vermeiden: meine Zeit zuerst.
Gerade der Jahresanfang eignet sich dafür gut. Bevor sich der berufliche Kalender füllt und füllt, kann es lohnen, Urlaub und kleinere Auszeiten bereits zu planen. (Du planst nicht gerne und willst lieber spontan sein: Verständlich. Die Gefahr ist nur groß, dass dann Andere für Dich „planen“ und der Kalender voll, voll, voll ist, wenn Du eine Pause brauchst.)
Gleiches gilt für die Arbeitswoche: 68 % der Menschen geben an, dass sie während des Arbeitstages nicht genug Zeit haben, um sich ungestört zu konzentrieren. Ein Ausweg ist, im Monats- oder Wochenrhythmus Fokuszeiten im Kalender zu planen. Wieviel Zeit das ist, ist individuell und vom Beruf abhängig – 25% der eigenen Arbeitszeit ist aber eine gute Richtschnur. Gelingt es uns dann, diese Zeit dafür zu nutzen, wo man am meisten bewegen kann, macht uns das zufriedener und gibt uns Energie.
This meeting could have been an e-mail
Nicht alle Meetings sind schlecht. Für viele sind Besprechungen (genauso wie Emails) jedoch die große Zeit- und Energiefresser. Produktivitätsexperte Christian Poensgen verweist in seinem Newsletter „Beyond Productivity“ auf eine Studie aus 2021 laut der Berufstätige 14,2 Stunden der Woche in Meetings verbrachten. Im November 2021 waren es bereits 21,5 Stunden – eine satte Steigerung um 50 Prozent.[1]
Dieser Trend hat sich auch nach der Corona-Pandemie nicht umgekehrt. Eine Studie von Microsoft aus 2023 ergab, dass die Zeit in Calls und Microsoft-Teams-Meetings im Vergleich zu 2020 um 192% stieg.[2] Innerhalb von drei Jahren nahmen Menschen also an dreimal (!) mehr Besprechungen pro Woche teil. Das ist ein Problem.[3] Verschlimmert wird es dadurch, wenn Besprechungen zu lang sind, schlecht geführt werden und kein klares Ziel verfolgen.
Zu viele Meetings können ein besonders „effektiver“ Weg sein, um Energie zu verlieren. Eine gute Übung kann sein, regelmäßig alle Regeltermine im Kalender zu überprüfen. In welche gehe ich nur, weil ich „meeting FOMO“ habe (also Angst habe, Informationen zu verpassen)? Welche Meetings werden durch Kollegen besucht – reicht eine Person oder kann man sich abwechseln? Werden Meetings, auch mit der Hilfe von KI-Anwendungen, gut dokumentiert, so dass ich mir Informationen auch asychnron „abholen“ kann?
Guter Ort, gute Energie
Werden Wissensarbeiter gefragt, wo sie am meisten arbeiten, antworten sie „im Büro“ oder „am Schreibtisch“. Für unsere Energie-Balance ist es hilfreich, sich zu fragen, wo wir eigentlich am besten arbeiten. Nicht nur, aber besonders für Introvertierte, sind Orte, an denen es leise ist, Gold wert – zum Beispiel „quiet desks“, Einzelbüros oder Ruhezonen. Genauso können Kopfhörer mit Geräuschunterdrückung in größeren Büros dabei helfen, die eigene Energie und den Fokus zu schützen.
Gelegentlich kann es aber auch dabei helfen, den Ort komplett zu wechseln. Über Wochen habe ich beispielsweise das Schreiben dieses Artikels (und weiterer) immer weiter verschoben, bis ich mir zwei Tage im Kalender blockte und im Winter an einen brandenburgischen See zu einem „Schreib-Retreat“ fuhr. Auf die Idee brachte mich ein Freund, der als Angestellter mit seiner Chefin vereinbart hat, einen Vormittag in der Woche vom Café aus zu arbeiten, weil ihm eine kreative Aufgabe dort besonders leicht fiel.
Und last but not least: Überhaupt muss Arbeit nicht zwangsläufig immer an einen physischen Ort gekoppelt sein. Kann ein Telefonat mit einer Kundin oder ein Meeting mit einem Kollegen nicht auch während eines Spaziergangs stattfinden?
Produktivität steigern durch weniger arbeiten (genau: Pausen!)
Energie lässt sich auch mit smarten „Hacks“ nicht unendlich ausdehnen oder kreieren. Stattdessen brauchen wir ganz regelmäßig weniger, um wieder mehr tun zu können. Wir brauchen Pausen.
Unsere geistige Energie verändert sich im Laufe des Tages systematisch. Nach etwa 90 Minuten erhöhter Wachsamkeit erreichen wir einen etwa zwanzig Minuten anhaltenden Tiefpunkt. Wer dann einfach weitermacht, vielleicht die Mittagspause ausfallen lässt, um vermeintlich noch mehr Zeit zu schinden, wird sukzessive immer unkonzentrierter, müder und unproduktiver. Welche Orte sich für Pausen am besten eignen und was es mit den „7 types of rest“ auf sich hat, kannst Du in diesem Artikel nachlesen.
Voller Fokus statt Multitasking
Ich bin immer wieder erstaunt darüber, wieviel ich schaffe, wenn ich an EINEM Thema arbeite und in den Flow komme. Aber kein Wunder: Gloria Mark, eine Expertin für das Thema Aufmerksamkeit, hat ermittelt, dass wir 50 Prozent länger für eine Aufgabe brauchen, wenn wir ständig zwischen Aufgaben hin- und herwechseln.
Der Grund für das Hin- und Herwechseln sind interessanterweise meist nicht Kollegen, die plötzlich eine Frage haben oder Hilfe benötigen. Der durchschnittliche Wissensarbeiter sendet und empfängt täglich 126 Emails pro Tag. 70 Prozent dieser Emails werden innerhalb von 6 Sekunden (!) nach ihrem Eintreffen geöffnet. 84 Prozent aller Menschen haben ihr Email-Programm durchgehend im Hintergrund geöffnet, auch wenn sie gerade an etwas anderem arbeiten. [4] E-Mails nur in bestimmten Intervallen anzusehen, schont die eigene Zeit und Energie.
Fazit: Unsere Energie ist wichtig
Ein Auge auf die eigene Energie haben, ist richtig. Aber auch mit den besten Tipps ist diese Ressource endlich. Wir brachen beides – Energie und das Setzen von Prioritäten – um das zu schaffen, was wir uns vorgenommen haben. Und „das, was wir uns vorgenommen haben“ ist niemals gleichbedeutend mit „alles“.
[1] Christian Poensgen, How to have more productive meetings (6 Actions), in: Beyond Productivity, November 2024.
[2] Microsoft Work Trend Index Annual Report, “Will AI fix work?”, Mai 2023.
[3] Vera Starker, „Konzentration ist ein Tor zum schönen Leben“, Interview im Harvard Business Manager 2/2024.
[4] Christian Poensgen, How great leaders manage their time, in: Beyond Productivity, September 2024.
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